Ostern und die größeren Zusammenhänge

Gestern Abend blieben mein Mann und ich beim Durchschalten des Fernsehprogramms an einem Film hängen, der die Ostergeschichte erzählte. Wir schauten eine Weile zu und eine Szene beschäftigte mich noch weiterhin. In dem Film ging man mit Jesus und seinen Freunden auf eine Reise und erlebte mit dem Blick der Freunde Jesu die Ostergeschichte. In der Szene, die mir noch nachgegangen ist, saßen diese Freunde schweigend zusammen in einem Zimmer. Jesus war gestorben. Manche weinten, andere starrten in die Leere. Allen gemeinsam war eine abgrundtiefe Enttäuschung. Ihr Leben und das was sie sich davon erhofft hatten, schien endgültig zerstört. Alles umsonst, alle Bemühungen, alle Hoffnungen, einfach alles aus.

Und genauso scheint es ja auch  – aus ihrer Perspektive. Und diese Situation müssen sie zunächst drei Tage aushalten. Doch dann wendet sich das Blatt. Es geschieht etwas, wovon sie nicht zu träumen gewagt hätten und plötzlich macht alles Sinn. Ja, sie erkennen, dass es um viel mehr geht als das, was sie sehen konnten. Und noch so viele Jahre später wird dieses Ereignis von Christen gefeiert.

Die Grenzen der eigenen Wahrnehmung und Vorstellungkraft werden überschritten und plötzlich öffnet sich die Perspektive auf etwas viel Größeres – sehr spannend.

Neulich habe ich von einer Freundin eine Nachricht erhalten. Sie dachte, dass sie mich in eine unangenehme Situation gebracht hätte. Dem war auch so – für den Moment. Als sie mir das aber am nächsten Tag schrieb und sich entschuldigte, hatte sich alles bereits völlig verändert und so antwortete ich ihr: „Kein Problem – gehörte wohl zum „großen Plan“ ;-)“ Verwirrt fragte sie nach, was ich damit denn jetzt meine und so erklärte ich ihr, dass diese zunächst unangenehme Situation in einer sehr verfahrenen Beziehungsdynamik eine beeindruckende Wende bewirkt hatte. Das konnte aber vorher keiner von uns absehen. In dem Moment schien es sehr unglücklich, doch schon am nächsten Tag zeigten sich die Zusammenhänge, die meiner Perspektive verschlossen gewesen waren.

Durch dieses Erlebnis wurde mir mal wieder bewusst wie eng unsere Perspektive doch oft ist und wie wenig es uns gelingt, oder gar unmöglich ist, die größeren Zusammenhänge, welche ja oft außerhalb unserer Gestaltungsmöglichkeiten liegen, in unsere Wahrnehmung mit einzubeziehen.

Dazu las ich vor kurzem auch einen spannenden Artikel von Laura Städler, in dem sie ebenfalls das Erleben eines solchen Perspektivwechsels anschaulich beschreibt (nachzulesen hier).

An all das erinnerte ich mich, als ich gestern in diesen Film reinschaute. Ich kenne das so gut! Etwas läuft nicht so wie ich mir das vorstelle, Pläne scheitern oder Dinge kommen in mein Leben, von denen ich mir wünsche, dass sie ungeschehen werden oder sofort wieder verschwinden. Ich bewerte das, was ich erlebe ganz nach meinem Ermessensspielraum. Gestern hatte ich den Eindruck, als wolle mich das diesjährige Osterfest fragen, ob ich bereit bin, anzuerkennen, dass meine Perspektive immer nur eine sehr beschränkte ist? Wie wäre es, wenn ich in meiner Perspektive immer ein Stückchen Raum lassen würde, der mir zeigt, dass es nicht alles in meiner Hand liegt? Ich die Dinge nie vollständig sehe, viele Zusammenhänge nicht überblicken kann und wenigstens der Vorstellung einen winzig kleinen Platz einräume, dass aus meinem Erleben – so wirr, schmerzhaft und unschön es grade vielleicht auch sein mag – irgendwann doch noch ein wundervolles Kunstwerk entstehen wird?

Was, wenn all das, was wir erleben sich eines Tages doch wunderbar zusammenfügt und wir erkennen wie jede einzelne Erfahrung in unserem Leben darin einen Platz bekommt und es zu etwas ganz Einzigartigem macht?

Es gibt wahrlich viele Erfahrungen, die hätte ich lieber nicht gemacht und Erlebnisse, von denen ich mir gewünscht hätte, dass sie mir erspart geblieben wären. So meine Perspektive. Doch was, wenn auch sie und vielleicht gerade sie, mich irgendwann genau zu dem Menschen machen, zu dem ich mich in diesem Leben entwickeln darf?

Ich glaube dies wird in diesem Jahr mein Ostergedanke: Ich will nicht alles sofort bewerten was mir widerfährt, sondern Raum lassen, dass sich manches doch irgendwann noch anders darstellen kann und mir hin und wieder in Erinnerung rufen, dass meine Perspektive nur eine sehr beschränkte ist.

Da, wo an Ostern alle dachten sie seien am Ende angekommen, genau da fängt alles eigentlich erst so richtig an.

Abschließend noch eine eindrückliche Geschichte über „Glück und Unglück“:

In einem Dorf in China, nicht ganz klein, aber auch nicht groß, lebte ein Bauer – nicht arm, aber auch nicht reich, nicht sehr alt, aber auch nicht mehr jung, der hatte ein Pferd. Und weil er der einzige Bauer im Dorf war, der ein Pferd hatte, sagten die Leute im Dorf: „Oh, so ein schönes Pferd, hat der ein Glück!“

Und der Bauer antwortete: „Wer weiß?!“

Eines Tages, eines ganz normalen Tages, keiner weiß weshalb, brach das Pferd des Bauern aus seiner Koppel aus und lief weg. Der Bauer sah es noch davongaloppieren, aber er konnte es nicht mehr einfangen. Am Abend standen die Leute des Dorfes am Zaun der leeren Koppel, manche grinsten ein bisschen schadenfreudig, und sagten: „Oh der arme Bauer, jetzt ist sein einziges Pferd weggelaufen. Jetzt hat er kein Pferd mehr, der Arme!“

Der Bauer hörte das wohl und murmelte nur: „Wer weiß?!“

Ein paar Tage später, sah man morgens auf der Koppel des Bauern das schöne Pferd, wie es mit einer wilden Stute im Spiel hin und herjagte: sie war ihm aus den Bergen gefolgt. Groß war der Neid der Nachbarn, die sagten: „Oh, was hat der doch für ein Glück, der Bauer!“

Aber der Bauer sagte nur: „Wer weiß?!“

Eines schönen Tages im Sommer dann stieg der einzige Sohn des Bauern auf das Pferd, um es zu reiten. Schnell war er nicht mehr alleine, das halbe Dorf schaute zu, wie er stolz auf dem schönen Pferd ritt. „Aah, wie hat der es gut!“

Aber plötzlich schreckte das Pferd, bäumte sich auf und der Sohn, der einzige Sohn des Bauern fiel hinunter und brach sich das Bein, in viele kleine Stücke, bis zur Hüfte. Und die Nachbarn schrien auf und sagten: „Oh, der arme Bauer, sein einziger Sohn! Ob er jemals wieder wird richtig gehen können? So ein Pech!“

Aber der Bauer sagte nur: „Wer weiß?!“

Einige Zeit später schreckte das ganze Dorf aus dem Schlaf, als gegen Morgen ein wildes Getrappel durch die Straßen lief. Die Soldaten des Herrschers kamen in das Dorf geritten und holten alle Jungen und Männer aus dem Bett, um sie mitzunehmen in den Krieg. Der Sohn des Bauern konnte nicht mitgehen. Und so mancher saß daheim und sagte: „Was hat der für ein Glück!“

Aber der Bauer murmelte nur: „Wer weiß?!“

In diesem Sinne wünschen wir euch, auch unter den besonderen Bedingungen aktuell, frohe Ostern. Genießt das, was ihr als Glück wahrnehmt und bei allem anderen eventuell ein klein wenig Spielraum für ein leises „Wer weiß?“

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