Der Lockdown – eine Lupe auf unser Leben

Die erste Woche Homeschooling liegt nun hinter uns. Irgendwie fühlt es sich mittlerweile schon fast wie eine vertraute Routine an. Wieder dürfen wir als Eltern dabei zuschauen wie unsere Kinder sich neue Dinge erschließen. Zum Beispiel wenn Kai und Penny immer weiter in die deutsche Rechtschreibung und Grammatik einsteigen. Man hat fast das Gefühl als entdecken sie irgendwelche Geheimcodes, die sie zwar ganz selbstverständlich sprachlich benutzen, aber deren Struktur und Zusammenhänge sie sich nun nach und nach erschließen. Für mich immer wieder sehr spannend mitzuerleben. In diesen Bereichen nehme ich die Entwicklungen unserer Kinder oft ganz deutlich war. In anderen Bereichen ist dies nicht so einfach festzustellen. Und so habe ich am Ende der Woche darüber nachgedacht, was unsere Kinder momentan eigentlich noch alles lernen bzw. lernen können – mal angenommen, wir betrachten diese missliche Lage, in der wir uns grade alle befinden, als Gelegenheit für persönliche Entwicklungsschritte.

Grade heute habe ich mit einer Mutter gesprochen, die kurz von ihrem Sohn berichtete und mit den Worten schloss: „Naja, vielleicht hängt das auch alles irgendwie mit Corona zusammen und durch die momentane Situation tritt das, was sonst auch schon da war, noch deutlicher hervor.“ Diesen Gedanken habe ich in letzter Zeit schon öfter gehört. Grade wenn Menschen etwas beschreiben, was vorher schon herausfordernd war, stellen einem die Veränderungen unseres Alltags durch die Coronamaßnahmen dieses Thema noch einmal wesentlich deutlicher vor Augen. So betrachtet ist unsere aktuelle Realität vielleicht vergleichbar mit einer Lupe, die einfach nochmal deutlicher unsere Themen und Entwicklungsaufgaben hervorhebt.

Nun haben wir eigentlich zwei Möglichkeiten mit dieser Situation umzugehen. Entweder wenden wir viel Kraft auf, um dieses vergrößerte Thema doch irgendwie nicht sehen zu müssen. Leider sind uns da ja grade viele „Ablenkungs- und Verdrängungsmöglichkeiten“ genommen, aber ich glaube, dass sich dennoch einiges finden ließe. Oder wir nutzen diese Vergrößerung, um nach Lösungen zu suchen und uns konstruktiv mit unseren Themen auseinanderzusetzen. Auch das kostet viel Kraft und auf den ersten Blick erscheint dieser Weg den meisten Menschen als der „schwerere“ oder zumindest der mehr gefürchtete. Auf lange Sicht dient er jedoch unserer Gesundheit und Lebendigkeit. Daher wäre es doch wünschenswert, dass wir alle aus diesem Lockdown ein wenig „gesünder“ hervorgehen und er uns nicht nur davor bewahrt „nicht krank zu werden“, sondern auch mit unseren kränkelnden Punkten in uns oder unseren Beziehungen in Kontakt zu kommen und Heilsames zu erfahren.

Doch nochmal kurz zurück zu unseren Kindern. Ich habe mich auch gefragt, worin in dieser Zeit speziell für sie der Gewinn stecken könnte. Was lernen sie über Homeschooling hinaus in und aus der aktuellen Situation?

Von außen ist das natürlich kaum zu beurteilen, geschweige denn vorherzusagen. Daher bleibe ich mal bei „Wunschgedanken“ und diese wären zum Beispiel Geduld, Ausdauer, Hoffnung und Kreativität. Grade neulich unterhielt ich mich mit einem Freund darüber wie die Realität unserer Kinder sich von der unserer Kindheit unterscheidet. Wenn Fritz einen Wunsch hat, kommt er zu mir und fragt mich, ob die Post ihm morgen dieses Flugzeug bringen kann. Alles ist, zugespitzt formuliert, immer und schnell verfügbar. Habe ich noch jeweils eine Woche auf die nächste Folge meiner Lieblingsserie warten müssen, kann Nele von Peppa Wutz theoretisch die gesamten Staffeln hintereinander wegschauen und dann mit Paw Patrol direkt weitermachen. Es gibt so viele Freizeitangebote und vieles, was für mich früher etwas sehr besonderes war, steht meinen Kindern regelmäßig zur Verfügung. Das hängt natürlich auch mit dem eigenen Lebensstil zusammen und an sich ist es ja auch erstmal genial, viele Möglichkeiten zu haben.

Doch als ich mich mit diesem Vater unterhielt, kam in uns die Frage auf: Wo brauchen unsere Kinder in ihrem Leben noch Geduld? Wo müssen sie mal eine Weile „durchhalten“, weil etwas nicht immer gleich sofort so funktioniert, wie man sich das vorstellt? Ich halte nicht viel davon für Kinder künstliche Situationen zu kreieren, in denen man möchte, dass sie jetzt etwas bestimmtes lernen. Stattdessen sehe ich in der momentanen Situation eine Gelegenheit, in der unsere Kinder, und ich ebenfalls, vieles lernen können. Wir brauchen grade Geduld. Lotti will so gerne ins Schwimmbad, Fritz und Nele wollen reiten, auch ins Kino soll es mal wieder gehen, Theo und Lotti wollen ihren Geburtstag nachfeiern, Jay wartet, dass die Jungschar, die er gerne besucht, wieder live beginnt.

Wir leben grade in einer Situation, die wir uns alle vermutlich anders wünschen würden und wir stehen alle vor der Herausforderung diese Realität nun anzunehmen und zu gestalten. Dazu brauchen wir Geduld, Ausdauer, Hoffnung und Kreativität.

Ich glaube, dass Kreativität auch durch Langeweile geboren wird (siehe dazu auch unseren Artikel über Langeweile). Dadurch, dass aktuell eine Menge Anregungen von außen wegfallen, sind wir alle wesentlich mehr auf unser Innen angewiesen. Ich sehe hier die Chance den eigenen inneren Reichtum noch mehr zu entdecken. Lotti fällt das zum Beispiel besonders schwer und sie leidet immer, wenn sie sich „alleine beschäftigen“ muss, weil grade niemand anderes Zeit oder Lust hat. Wenn es nach ihr geht, würde sie diese Situation immer irgendwie versuchen zu umgehen. Ich bin ganz dankbar, wenn die Umstände mal so sind, dass dies nicht möglich ist, denn ich glaube, dass in ihr ein großer, kreativer Schatz schlummert. Wenn sie sich dann darauf einlässt, sozusagen ganz mit und bei sich zu sein – oft sind bis dahin einige Tränen der Wut und Frustration geflossen, weil sie mit der Situation hadert – wird sie immer fündig.

In diesem Sinne stimmt es mich positiv und hoffnungsvoll, dass ich in dieser Krise neben all den möglichen negativen Auswirkungen auf die soziale und emotionale Entwicklung unserer Kinder, die ich auch wahrnehme, auch Chancen entdecke.

Also ermutige ich mich nach dieser Woche wieder selbst dazu, das anzuschauen, was sich momentan als meine Entwicklungsaufgabe zeigt. Das ist wohl unter anderem auch Geduld, Ausdauer und Hoffnung. Denn grundsätzlich sind mir diese Eigenschaften nicht im Übermaß gegeben und daher auch immer wieder schnell aufgebraucht. Als ich diese Woche das Mittagessen vorbereitet habe und nebenbei das Radio lief, wurde dort das Lied „Hoch“ von Tim Benzko gespielt. Gemeinsam mit der gesellschaftlichen und meiner ganz persönlichen Situation hat es die Lupe auf mein Inneres gehalten und die Zeilen „Die Leute fragen wie viel Extrameter gehst du? Ich fang erst an zu zählen, wenn es wehtut.“ sowie „und wenn ich glaub meine Beine sind zu schwer, dann geh ich nochmal tausend Schritte mehr.“ haben mich sehr angesprochen. Daher ringe ich mich durch zu einem: „Herzlich Willkommen, Ungeduld und Frustration! Ich nehme euch an und mir Zeit mit euch ins Gespräch zu kommen.“ Gleichzeitig werde ich bewegen, was und wie ich dazu beitragen kann, Geduld, Ausdauer und Hoffnung zu stärken. Ich bin gespannt, was sich da entwickeln darf…

Nach diesem Resümee unserer Woche wollen wir euch Mut machen, das, was an Themen bei euch persönlich oder bei euren Kindern momentan „vergrößert“ wird, wahrzunehmen. Hinzuschauen und es als Chance zu werten, dass sich dies nun zeigen darf. Es anzunehmen – und das schreibt sich so schnell in zwei Worten dahin, ist aber ein intensiver Prozess – und dann zu schauen wie man weiter damit umgehen kann. Nutzt diese Krise (und ich selbst bin sie auch leid!)! Viktor Frankl ist für mich ein zutiefst beeindruckender Mensch und er fordert in der Logotherapie seine Klienten auf eine Antwort auf die Fragen zu finden, die ihnen das Leben grade stellt. Welche Frage oder Herausforderung stellt dir grade dein Leben? Ich bin gespannt, welche Antworten wir für uns finden…

Haltet durch und lasst die Hoffnung nicht sinken!

Ein Kommentar zu “Der Lockdown – eine Lupe auf unser Leben

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